Museum Ludwig: Des Königs letzte Schau.
COELLN/rtb Vieles ist moglich, wenn ein Konig sein Haus in gut bestelltem Zustand an seinen Nachfolger übergibt. Über die sogenannten „großen“ Häuser berichtet die Fachpresse der bunten Blätter nicht allein in den Gesellschaftsnachrichten, sondern auch in opulenten Covergeschichten und Fotostories. Das ist auch für die freie Presse demokratisch verfaßter Staaten eine angemessene Reaktion auf die Demissionierung eines Regenten. Wenn aber in der alten freien Reichsstadt Köln der König geht, verzetteln sich kaum mehr als die Feuilletons in der kritischen Schau auf die Wirkgeschichte eines bedeutenden Museumsdirektors. Und Fotoreportagen bieten sich nicht an, wo doch die ökononische Wirklichkeit kommunaler Museen in Deutschland wenig Spielraum läßt für den Pomp und die Pracht der alten Zeiten in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Vor und nach der Ölkrise.
Was kann, was muß, was soll das Museum heute leisten?
Die Aktualitat dieser Frage scheint heute bedeutsamer als die vielen Fragen nach der Kunst unserer Zeit. Bei genauerer Betrachtung jedoch handelt es sich dabei um eine Scheinfrage, eine drängende Frage, nichtsdestoweniger um eine Frage, die sich dem bürgerlichen Museum so oder ähnlich in regelmäßigem Turnus immer wieder stellte. Ihre Aktualität erfährt sie – in bislang ungeahnter Schärfe – allein durch die zeitliche Koinzidenz mit der Malaise der Kommunalfinanzen. Die desaströsen Haushalte der Städte lassen heute die Museen je nach Blickwinkel entweder als ruinöse Zuschußbetriebe, als Einrichtungen außerhalb der verpflichtenden Daseinsvorsorge oder aber als hochbewertete Bilanzposten erscheinen. Nur Idealisten und Konservative im Geiste des humanistischen Bildungsideals in der praktischen Politik scheinen noch an die demokratische Funktion des Museums und der öffentlichen Sammlungen zu glauben.
„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!“
Als Herbert Wehner seine Fraktion im Bundestag mit diesen Ausspruch auf Facon frisierte, schienen die Utopien noch als das Machbare, die Zukunft noch als die Dimension der Praxis der Politik – als gesellschaftlicher Gestaltungsraum einer neuen Ordnung. Die Visionen aber gehörten den Denkern und Künstlern, die mit ihrer Arbeit zunächst die Grundlagen für die Utopien schufen, denen eine Gesellschaft folgen konnte, indem sie versuchte, sich zu transformieren, um dem neuen Idealen zu entsprechen. Stets erscheint der wahre Liebhaber wie ein Besessener, als ein unverbesserlicher, unbelehrbarer Idealist. Viel kann man Kasper König vorwerfen, vieles kann ihm nachtragen, kann seine Fehler, seine Fehleinschätzungen, seine Marotten summieren. Man kann einen Strich unter seine Arbeit als Museumsmann ziehen und Aktiva und Passiva gegeneinander aufwiegen. Man kann es, und manch einer tut es, und das ist nichts weiter als ein Teil der Arbeit der Kunsthistoriker: Die kritische Bewertung. König wird sich auch dieser Abrechnung stellen müssen, wie er sein ganzes Leben mit der Kritik gelebt und (wie manche sagen) in der Kritik gelebt hat. All dies ist – berechtigt oder nicht – Teil des Geschäfts, des Kunstbetriebes, in dem König seine Rolle spielte und weiter spielen wird. Doch selbst die galligsten Neider und mediokresten Krämerseelen der ganzen Szene können Kasper König nicht die Leidenschaft absprechen, mit der er seine Kunst vorantrieb, protegierte und öffentlich machte. „Vor dem Gesetz“ ist wie von diesem Trieb beherrscht, ist die Ausstellung eines Liebenden – sowohl in praktischem wie im dialektischen Sinn. Was gibt es über diese Liebe zu sagen? Der Liebe eines reifen Mannes zu einer immer jungen, immer spröden, immer verführerischen Geliebten, wie es die Kunst nun einmal ist? Alles und nichts. All das, was die Kunst nicht selber zu sagen vermag? All das Unsagbare, was nur die Kunst ausdruücken kann? Was aber ist die Liebe im Verhältnis zu den Liebenden oder zu dem Liebenden? Welcher Poetik folgen Farben, welchen Klang haben Formen und wie duftet der Raum? Eines der Merkmale Liebender liegt in der Harmonie ihrer Gedanken, in der Fragen so wenig Raum nehmen wie Antworten, solange der geistige Gleichklang zweier autonomer Wesen in all seiner Feinheit und Fragiltität besteht. Kasper König genießt diesen Gleichklang mit der Kunst, was ein jeder, der nicht in einem derartigen Akkord zu seiner Leidenschaft steht, ihm mit Fug und Recht neiden darf.
Vor dem Gesetz…
„Skulpturen aus der Nachkriegszeit und Räume der Gegenwartskunst“ – so der Untertitel – zeigt das Zusammentreffen der Kunst aus zwei Jahrhunderten, aus mehr als zwei Epochen der Kunst. Und es zeigt eine Verwandtschaft, die bisher durch viele Säle getrennt gewesen war. Es zeigt den Menschen in seiner Macht und Ohnmacht. In den Nachkriegsplastiken als wie aus dem Nichts, dem Néant zurück in die Welt Tretende, wie Alberto Giacommettis „Jambe“ oder Lehmbrucks „Sitzender Jüngling“. Wie ähnlich wirken dazu die Arbeiten von Thomas Schütte und Marko Lehanka (o.T.). Schüttes „Vater Staat“ ist gleichfalls die Sphäre des Gesetzes wie ihre absolute Schranke, vor der die Figur Kafkas ihr Leben verliert. In Paul Chans Installation „Sade for Sade’s sake“ oder Karla Blacks „Nature does easiest Thing“ geht es trotz der ganz unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen allein um das Verhältnis von Sein und Nichtsein – also einer Protoform der Frage nach Chaos und Ordnung. Jedes der Werke rechtfertigte für sich alleine je einen Museumsbesuch, wären sie nicht zu einem Gutteil längst im Besitz eines einzigen. Eine Tatsache, die sich das Kölner Ludwig wirklich zugute halten darf.
Der Mensch. Der Staat? Das Sein. Das Nichts!
Diese vier Begriffe markieren die thematischen Grenzen der Ausstellung. Nachkriegszeit und Gegenwart markieren die temporale Dimension. Den beiden Ausstellungsmachern König und Trummer gelingt dabei etwas Ungeheures, etwas Seltenes: ein sich prima facie bescheiden gebendes Meisterwerk. Nicht mehr, doch kein Jota weniger. Natürlich entdecken sie dem Publikum auch Altbekanntes, das bereits lange Übersehene, und hieven die bildnerischen Pretiosen aus ihrem wie hundertjährigen Dornröschenschlaf im dämmerlichtigen Magazin hinaus in die gleißenden Schauräume, entdecken sie dem Publikum als akut, als neu und als unerwartet aktuell. Sie entzerren verquere Vorstellungen und ordnen die älteren Werke erneut zurück in das Kontinuum der Kunstgeschichte ein. Hängung und Raumaufteilung sind von einem besonderen Esprit. Aber neben diesen scheinbaren Äußerlichkeiten stellt der Titel, unter dem diese letzte Abschiedsausstellung Königs zusammengetragen wurde, die transzendente Dimension der Kunst dar. Bruce Naumans „Carousel“ mag hier als eine Metapher für den Zusammenhang von Idee, Form, Ausdruck, Beziehung und kontextualer Bedeutung jenseits einer ästhetischen Fixierung dienen. Kunst schockiert. Ausstellungen vermögen dieses Potential zu potenzieren. Und wilde Ausstellungsmacher nutzen die immanente Gewalt der Einzelwerke für hollywoodeske Big-Bang-Effekte. Das ist Königs Sache nicht. Er provoziert subtiler. Wie damals in Münster mit einem Rückriem neben dem Dom, einem Serra vor dem Bischofspalais und einem Paik-Buddha im Stadtgraben. „Vor dem Gesetz“ ist die aktuelle Antwort auf den programmatischen Titel „Von hier aus“. Man hätte sie ohne falschen Stolz auch „Hier!“ nennen können, und man möchte König danken: „Eine schlaue Ausstellung, Herr Direktor!“, und bereits aus schierem Eigennutz hoffen, daß die Kunst auch mit seinem Nachfolger Philipp Kaiser solch ein leidenschaftliches Liebesverhältnis pflegt.