Die Avantgarde im Schützengraben.
BONN/ck Am Ende des großen Krieges war nichts mehr so wie zu seinem Beginn. Das Attentat in Sarajewo markierte den Untergang der postnapoleonischen Epoche und den Anfang der Demokratisierung des alten Europas. Ein Anfang, dem wenig Zauber, umso mehr Devastation innewohnte. Ein totaler Krieg, der die Industrialisierung der Artes Bellum einläutete und nach der Auffassung etlicher Historiker erst mit dem „unconditional surrender“ der Wehrmacht am 9. Mai 1945 enden sollte. Der Frage, was in den ersten Kriegsjahren in den bildenen Künsten geschieht, veruscht die Bonner Ausstellung in der Bundeskunsthalle „1914 – Die Avantgarde im Krieg“ mit vielfältigen Exponaten nachzugehen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es zu einer künstlerischen Explosion gekommen: Expressionismus, Dadaismus, Futurismus, Spätimpressionismus, Konstruktivismus, die frühen Abstrakten. Alle brachen mit den ästhetischen Traditionen des Fin de Siècle. Das Débût des Zwanzigsten Jahrhunderts war gefüllt von einer Aufbruchsstimmung in den Künsten wie kaum eine Zeit seit der Renaissance.
Nun war der Krieg wie all die Kriege zuvor über die Nationen gekommen, hereingebrochen und bejubelt, als man in ihm noch solch eine Kampagne vermutete wie die Kriege der Vergangenheit. Doch die Kampagne blieb in den schlammigen Gräben bei Ypern, blieb im Mergel vor Verdun, bei Cortina und Brest stecken. Die Episode wurde so zum Drama. Das Kriegstheater griff wirtschaftlich bis in die Regionen weit ab der Frontlinien um sich. Davon aber erzählt die Bonner Schau wenig in den Subtexten neben den Exponaten. Ihr Blick richtet sich mehr auf die bildnerische Verarbeitung der Kriegserfahrung eines Teils der Avantgarde. Die faktische Dekonstruktion der Wirklichkeit in Folge von explodierendem Dynamit wird so zur Bildfolie, welche die Abstraktion erklären möchte. Die Camouflage leinenbespannter Kampfflugzeuge zur optischen Vorlage für die konstruktivistische Ikonogenese. Manchmal ist die Realität wirklich derart einfach, daß man es kaum zu glauben wagt. In Bonn jedoch bleibt ein Hauch des Zweifels. Ungeachtet der Exquisität der Ausstellungstücke gelingt es der Ausstellung kaum eine Transzendenz vom Erlebnis eines mechanisierten Krieges zu der künstlerischen Verarbeitung des Erlebten herzustellen. Ein Manko, welches nicht einmal die beigestellte Fotoschau zu lindern vermag.
Zu einer umfassenden Ikonologie der Weltkriegskunst hätte zumindest eine umfänglichere Darstellung des Bilderkanons gehört, der die öffentlichen Wahrnehmung bestimmte und durch die Medien verbreitet wurde. Wer sollte die Dix’schen Versehrtenbilder verstehen, der nicht den Bildbericht der Berliner Illustrierten Zeitung gelesen hat? So bleibt nur die Gewißheit: Nach „1913“ in Köln, ist „1914“ in Bonn in jedem Fall von logischer Konsequenz und bereits allein um der Werke willen in jedem Fall einen Besuch wert.