Unlängst erfuhr das Theater Bonn einige personelle Umstrukturierungen. So war die Neugier des Publikums auf die erste Premiere der neuen Spielzeit groß, zumal sich Alice Buddeberg, die neue Hausregisseurin, mit der Adaption des Döblinschen Romanfragments „Karl und Rosa“ keiner allzu leichten Aufgabe stellte.
BONN/dw Rosa Luxemburg sitzt im Revolutionsjahr 1918 als politische Gefangene im Breslauer Frauengefängnis. Statt auf der Straße die Revolution voranzubringen, begegnet sie hier nur verständnislosen Mitgefangenen und der Erinnerung an ihren gefallenen Geliebten Hannes. Die aber wird für ihr Leben bald in großem Maße bestimmend. Denn Hannes, der ihr wie real erscheint, reagiert nicht nur auf sie, sondern interagiert mit ihr. Bald auch gegen sie, denn der Teufel persönlich bedient sich seiner, um Einfluß auf sie zu bekommen und im Chaos der Revolution seine Fäden ziehen zu können. Doch nicht bloß Rosa sieht sich nach ihrer Entlassung einer unlösbaren Aufgabe gegenüber, denn die Revolution droht nicht nur ihre eigenen Kinder fressen zu wollen.
Es ist bezeichnend, daß Satan die verschiedenen Schauplätze und Handlungsstränge des Stückes in dessen Verlauf mehr und mehr verknüpft. Dabei ist diese Vielschichtigkeit der Handlungsfäden sehr gut umgesetzt: Nicht allein die Bühnenbilder geben mit ihrer beklemmenden buchstäblichen Schieflage und der trostlos-schmutzigen Straßenschlacht-Szenerie genügend Freiraum, um all den Entwicklungen einen passenden Hinter- wie auch Untergrund zu geben. Gerade die verwendete Filmschnitt-Technik, das Umschalten der Schauspieler in ihren Doppel- und Mehrfachbesetzungen kommt dem verschachtelten Handlungsverlauf entgegen. Die Handlung wird somit gut durchschaubar und vor allem nachvollziehbar.
Diese Art der Inszenierung stellt hohe Anforderungen an die Schauspieler. Doch die Szenen und Rollenwechsel gelingen ausnahmslos hervorragend. Da der Fokus durch das Mittel der Montage immer wieder wechselt, können einige Akteure passagenweise mit sehr dichtem und intensivem Spiel geradezu glänzen: Glenn Goltz als Karl Liebknecht wie auch als Direktor, Sophie Basse als Rosa Luxemburg sowie Sören Wunderlich als Friedrich Becker. Ein schauspielerisches Bravourstück liefert Alois Reinhardt in den Rollen des Hannes und des Satan.
In den Dialogszenen kann das Stück überzeugen. Hier zieht es die Zuschauer in eine unsichere, haltlose Welt. Die Tage der Revolution sind wie mit Schmutz behaftet, und der Teufel erscheint auch in diesen Wirren als Verführer. Wenn er trotz all seiner Verlockungen letztlich an der Kraft der freien Entscheidung, am freien Willen des Menschen scheitert, offenbart sich das Prinzip des Negativen als ebenso sinnlos wie die chaotische Tollheit einer von ihren Idealen entlasteten Revolution.
Einzig die Intermezzi scheinen überflüssig. Sie stören sogar, zerren das Publikum unnötig heraus. Wo sie die Dramaturgie aufbrechen und die Handlungsebene komplett verlassen, wirkt ihre aufgesetzte Komik oberflächlich, geradezu bieder. Kürzte Alice Buddeberg hier ein wenig, rangierte diese Inszenierung bald in der obersten Liga. Vor allem dank dieser Besetzung!
Karl und Rosa.
Eine Geschichte zwischen Himmel und Hölle
nach dem Roman von Alfred Döblin
Für die Bühne bearbeitet von Alice Buddeberg und Nina Steinhilber
Regie: Alice Buddeberg
Bühne: Cora Saller
Kostüme: Martina Küster
Musik: Stefan Paul Goetsch
Video: Nazgol Emami
Dramaturgie: Nina Steinhilber
Rosa Luxemburg: Sophie Basse
Hannes/Satan: Alois Reinhardt
Tanja/Hilde: Julia Keiling
Friedrich Becker/Leo Jogiches: Sören Wunderlich
Karl Liebknecht/Der Direktor/Herr Riedel: Glenn Goltz
Sonja Liebknecht/Lucie: Johanna Falckner
Heinz Riedel/Jäger Runge: Benjamin Berger
Johannes Maus/Erwin Stauffer u.a.: Daniel Breitfelder