EIN FAUST in den Kammerspielen Bad Godesberg.
BONN/ck Habe nun ach, den Faust, erst im Puppentheater, im Kino und dann in Schauspielhäusern gesehen, und jetzt nun auch in Bonn. Texttreue bei Gründgens und Quadflieg, ein Transkript in die heutige Zeit im Schauspiel inszeniert von Alice Buddeberg. Wie jede freie Bearbeitung eines Klassikers, hat auch dieser Goethe mit massivem Widerstand eines Teils des Publikums zu rechnen. Was hat man in Bonn mit dem deutschen Drama par excellence getan? Hat man den Text vergiftet, das Stück entweiht?
Den marlowschen Stoff des Dr. Faustus hatte Goethe in seiner dramatischer Bearbeitung bereits derartig neugewichtet, daß der erste Teil des Dramas nach seiner stärksten Rolle ebensogut „Mephisto“ als Titel tragen könnte. Schließlich hatte der Geheimrat den traditionellen Stoff über einen Wissenschaftler zu Beginn der Neuzeit ja in eine individuelle (Midlife-) Krisenstory umgedeutet.
In Bonn wird das individuelle Drama des Wissenschaftlers nur am Anfang thematisiert. Glen Goltz darf in einem spartanischen hängenden Studierzimmer wie Jackson Pollok Drip Paintings an die papierenen Wände spritzen (geniale Bühne von Cora Saller).
Ein überaus dichtes Bild für die Verzweiflung des Empirikers, der an die Grenzen der exakten Wissenschaften stößt und sein Heil in der Mystik sucht. Mystisch archaische Zeichen in der Manier eines Jean Dubuffet folgen der exzessiven Malerei. Zart wird die Farbenlehre des Dichters angedeutet, die Alter-ego-Theorie über die Titelrolle quasi mehr geritzt als gestreift.
Boy meets girl
In dieser Phase der Lebensmüdigkeit versucht der Teufel sein Glück bei Faust. In Bonn erscheint der Mephisto in einer Trinität des Teufels: Daniel Breitfelder, Johanna Falckner und Wolfgang Rüter geben die verschiedenen Aspekte Mephistos Versuchung, Verführung, Verständnis. Ein geschickter, kluger Schachzug der Dramaturgie (Johanna Vater) um den Erfolg der Inszenierung nicht ganz allein von der Besetzung des stets verneinenden Geistes abhängig zu machen.
Damit gewinnen sowohl die Rolle des Faust wie die Verständlichkeit des Stücks beim Zuschauer. Mit der einzigen Einschränkung, daß der volle Genuß eine profunde Kenntnis des Originaltextes voraussetzt. Doch darf man, kann man unter solch einer optimistischen Bildungserwartung heute noch kommunales Theater machen?
Und sag‘ zum Augenblick, verweile doch…
Neben dem deutschen Bildungsdrama fokussiert die Bonner Inszenierung vor allem auf die Sidestory des Dramas. Boy meets girl, das Erfolgsrezept jedes Blockbusters – von Weimar bis Hollywood. Die tragische Liebesgeschichte von Grete und Heinrich. Hier spielen Goltz und Mareike Hein (Grete) wirklich großartiges Theater. Sie spielen nicht nur überzeugend, ja sie sind die Liebenden von Weimar.
Nach der Pause allerdings wirkt die Inszenierung dann seltsam verhuscht. Texttreu rast man durch die Zeilen. Nur Mareike Hein gelingt mit der pantomimischen Kindstötung eine überragende Leistung.
Insgesamt eine mutige Inszenierung mit fantastischen Schauspielern. Theater weit entfernt von Provinz.
Fazit: Ungewöhnlich, außerordentlich, und unbedingt sehenswert!
Leider, all der Nackten wegen, nichts für Peladophobiker.
Link zum Originaltext: Faust1