Spielzeiteröffnung an der Bonner Oper:
Alain Menkens kleiner Horrorladen
Bonn/ rtb 30/08/15. „Wer will backen ein guten Kuchen, der muss nehmen sieben Sachen“ mag sich die Leitung der Oper der Bundesstadt gedacht haben. Ein etabliertes Erfolgsstück mit Hitpotential, ein paar gute Stimmen, etwas Glamour durch ein paar bekannte Namen auf dem Besetzzungszettel, flotte Musik, ein kreatives Regieteam, eine faszinierende Choreografie und ein beeindruckendes Bühnenbild. Dann strömen die Besucher und am Ende des Jahres sehen die Auslastungszahlen besser aus … und bringt die Kritiker des städtischen Musiktheaters zum Schweigen… In seiner Simplizität überzeugt dieser Plan sowohl durch die Effektivität seiner Durchführbarkeit wie der langen Übung an den meisten Theatern in aller Welt. Spröde, schwierige Stücke im Spielplan benötigen die Kassenschlager zum Ausgleich. Bei Theatern, bei Opernhäusern, bei Verlagen. Wer in seinem Spielplan Kultur auf hohem Niveau betreiben will, wer Avantgarde und Neues fördert, darf nie davor zurückscheuen an der Kasse auch Masse zu machen. Gelingt dem Ensemble rund um den jungen Spielleiter Erik Petersen dies wenig ambitionierte Unterfangen?
Maßhaltigkeit, Genrekonformität und (nur) eine (Fehlbesetzung
Vorangestellt das Resümee: „Grösstenteils harmlos.“ 1 Was dürfen die Besucher eines Musikals erwarten ausser einem kurzweiligen Abend, der geprägt wird von leichter Muse, von schmissigen Liedern, einer rührenden Geschichte und dem unvergleichlichen Erlebnis Theater? Nichts, aber jeden einzelnen Punkt dürfen sie verlangen. Wer schon einmal die kommerziellen Musicalproduktionen genossen hat, weiss wie hoch die Standards liegen, wenn man in einer gewissen Preisklasse seine Tickets verkauft. Die städttischen Theater machen den Familienbesuch eines Musicals für viele daher erst finanzierbar. Ein Phantom, ein Löwenkönig etc. kosten au der kommunalen Bühne nicht mehr den Preis eines Kurzurlaubes, sondern können oben auf dem Rang – bei den Kindern des Olymp – noch aus dem wöchentlichen Haushaltsgeld bezahlt werden kann.
Die Geschichte des Horrorladens wurde zunächst als Film realisiert, bevor sich Alain Menken an die Vertonung des Trashmovies für die Musicalbühne machte. Ähnlich wie die ‚Rocky Horror Picture Show‘ ist die Story ebenso dünn wie hahnebüchen: Ein augenscheinlich simpler Blumenhändler betreibt sein Geschäft in einem vollkommen verwahrlosten Viertel, wo die Menschen zumeist andere Prioritäten als Blumen haben. Dennoch leistet er sich mit Seymour und Audrey zwei Mitarbeiter.
Während einer Eklipse tritt eine extraterrestrische Pflanze in dieses Szenario urbaner Miserabiltät. Ganz klar, diese Pflanze plant die Weltherrschaft und natürlich ernährt sich von Blut oder besser ganzen Menschen am Stück. Doch am Ende wird alles gut! Oder auch nicht …
Inszenatorische Impulse in der Beethovenstadt
Neben den bösen Absichten der extraterrestrischen gibt ein Mensch den irdisch-bösen Sadisten, natürlich ein Zahnarzt. Wie jeder Trash bietet auch dieses Stück für die Inszenierung vielfältige Möglichkeiten kreativ mit den Zwischentönen umzugehen. Zumal wenn die Hauptcharaktere im Stück als Naive, als Narren angelegt sind. Die Narren Shakespeares, Grimmelshausens Simplizius, die Reihe ist lang. Kurz gesagt, diese Chance hat Regisseur Petersen nutzlos vertan. Vielleicht lag es auch nur an der Nervosität während der ersten Premiere der neuen Spielzeit. Wenn das Ensemble 24 Minuten vor dem zeitlich geplanten Schluss an der Rampe steht, kann schließlich keine Zeit für das leise Spiel der Zwischentöne bleiben. Kapellmeister Jürgen Grimm und den Musikern ist dies nicht anzulasten. Sie spielen wacker und ohne Fehl, ihre Interpretation der Soulnummern geraten sogar zu veritablen Höchstleistungen. Bühne und Kostüme (Dirk Hofacker) gelingt es überzeugend eine amerikanische Downtown Atmosphäre auf die Operbühne zaubern. Der Blumenladen von Mr. Mushnik (souverän im Gesang Michael Schanze), ein Radiostudio, ein Blumenmarkt, ein Hinterhof, und die Praxis von Dr.med.dent. Orin Scrivello (der Kabarettist Hans-Werner Olm). Die Drehbühne im Dauereinsatz, die Lichtsetzung (Thomas Röscher) perfekt! Die Theatermenschen des Bonner Hauses sind versierte Profis und zeigen es, wenn man sie lässt. Auch die Choreografie (Kathie Farkas) setzt gekonnt die indivuellen tänzerischen Fähigkeiten der Darsteller ein. Wobei die Statik des Ausdrucktanzes des sadistischen Zahnarztes (Hans-Werner Olm) in dieser Inszenierung glücklicherweise einzigartig ist.
Wie still wäre das Musiktheater ohne ganze Sängerei
Seymour, der Stille, liebt seine dümmlich naive Kollegin Audrey (perfekt gespielt, gesungen und getanzt von Bettina Münch). Sie aber ist unheilvoll mit dem Dentisten verwandelt, der sie erniedrigt und brutal misshandelt.
Mr. Mushnik, der Ladenbesitzer ist ein beinah bedauernswerter, erfolgloser Geschäftsmann, welcher Seymour (in den ersten Akten noch vollkommen farblos und unter seinen Möglichkeiten: Matthias Schlung) als billige Arbeitskraft aus einem Waisenhaus zu sich geholt hatte. Die Soulgirls Chiffon (Beatrice Reece), Crystal(Amanda Whitford) und Ronette(Sampaguita Mönck) raten Seymour um Audrey zu kämpfen. Diesen Ratschlag nimmt er an. Audrey, ihm durchaus zugetan, hat berechtigte Ängste sich von ihrem Feund zu trennen. Als Lösung dieses Konfliktes bietet sich daher nur eine endgültige an. Nach dieser Expsosition der sozial-ökonomischen Ausgangslage bildet der Bankrott von Mr. Mushnik einen ersten Plot. Der phytophile Seymour besitzt aber noch eine seltsame, einzigartige Pflanze (Audrey II), die nun zur Werbung im Schaufenster ausgestellt wird. Der erste Kunde (nicht nur in dieser Rolle aussergewöhnlich gegeben von den begnadeten Jeremias Koschorz, der auch als Saufbruder, Zahnarztpatient, Reporter, Priester, und Produzent und Pflanzenvermarkter Patric Martin brilliert) lässt auf einen ökonomischen Erfolg schliessen. Audrey II lebt mittlerweile mehr vom Blut Seymours als von Wasser, Guano und Stalllmist. Bis der Gärtner, bereits in einem anämischen Zustand gelangt, ihren Appetit kaum mehr stillen kann. Es kommt endlich zum Showdown mit Scrivello. Seymour, den Finger am Abzug seiner neu gekauften Flinte! Doch der Dentist verscheidet ohne äusseres Zutun an den Folgen seiner Lachgassucht. Seymour muss nur abwarten bis Hans-Werner Olm endlich seine letzte Note abgesungen hat. Dann versenkt er den Leichnam des Zahnartztes als biologischen Dünger im Schlund von Audrey II. Nun wächst die Blume um ein Vielfaches – ebenso ihr Appetit. Dennis LeGree singt die Pflanze Audrey mit Bravour. Mit Tiefe und nuancenreich, einem beeindruckenden Volumen und Feeling für den Soul.
(Bis zur Pause war die Abstimmung der PA auf den vollbesetzten Zuschauerraum noch in einem Stadium, das man freundlich als „work in progress“ bezeichnet.)
ein aufgehender Stern...
Das Ende der Geschichte: Ein Happy End oder bezeichnen wir wir es lieber als ein „quasi-happy-end-einerseits“. Der Weltherrschaft der extraterrestrischen Phytobestie steht nichts mehr im Wege!!!?? – typischer Cliffhanger eines Sequell, dramatische Musik. Vorhang. Und dort steht auch die Sängerin, die ständig in vielen Nebenrolle im Stück präsent war. Als Strassenhure, alte Chinesin, Sambatänzerin, Mrs. Luce, Olivia und als Reporterin. Ihr aussergewöhnliches komidiantisches Potenzial, ihr präzises Spiel, ein Timing – so perfekt wie ihr Gesang und Tanz. Die Souveränität hart an der Grenze die feine Linie zwischen kalkulierter Überzeichnung und Groteske nie zu überschreiten. Yoko El Edrisi empfiehlt sich mit ihrer Arbeit im Bonner Horrorladen für weitaus größere Rollen.
und am Ende das kein Ende ist die Frage aller Fragen:
Ob der Besuch in Mr. Mushniks Blumenladen sich lohnt?
Entschiedenes Ja!
Nehmen sie ihre Familien, Nachbarn, Freunde und Bekannte mit. Sparen sie sich den Weg nach Hamburg, Bochum oder Berlin. Besuchen Sie dieses nette kleine Musical in der Oper Bonn. Die Kinder werden es lieben (es gibt keine Altersempfehlung, aber gefühlt ab 10 Jahren), sich gruseln, und freuen an der süssen Liebesgeschichte von Seymour und Audrey. Einer unvergleichlichen Schmonzette höherer Einfalt.
Selbst die eingefleischten Opernliebhaber sollten es sich trauen, in der leichtesten Muse zu schwelgen. Schliesslich besitzt gute Komik hinter ihrer lustigen Maske stets eine nahezu erschreckend inhaltliche Tiefe. Ansonsten könnte sie auch nicht als Komik funktionieren, ohne Klamauk zu werden.
Lassen sie sich versichert sein,
der kleine Horrorladen in Bonn ist eindeutig Komik.
Live, leicht, lustig!
Was will man mehr?
Der nächste Tiefgänger:
Wagners Fliegender Holländer
Lesen Sie die Kritik auf rheinkritik.de.
mit Priit Volmer, Rolf Broman, Manuela Uhl, Anjara Bartz, Mark Morouse, u.v.a. Chor und Extrachor, BOB, Leitung Hendrik Vestmann, Regie Walter Schütze
Premiere 27.September 2015
Vorstellungen Okt 03./17./25./29. Nov 08./19. Dez. 25.
1 zitiert nach der Enceclopaedia Glactica, Eintrag Erde; in Adams, Douglas; „Machs gut und danke für den Fisch“; Bd.5 der Trilogie „Per Anhalter durch die Galaxis“