Verdi´s frühe Oper JERUSALEM in der Reihe „Unbekannte Meisterwerke“ in deutscher Erstaufführung an der Oper Bonn
Gut ein Jahrhundert dauerte es, bis Giuseppe Verdis „Jerusalem“ auf einer Deutschen Bühne aufgeführt wurde. Obwohl die Handlung in Toulouse und Palästina spielt, Verdi das Werk für die Pariser Operá komponierte und das Libretto in Französisch verfasst ist, ist es ein Geheimnis, warum diese Oper über die Grenzen Frankreichs kaum bekannt ist. Denn sie bietet Musiktheater auf höchstem Niveau und eine Komposition, die zu Verdis Meisterwerken gezählt werden darf.
In Bonn entschied man sich für eine gekürzte Version, und strich, wohl auch in Ermangelung eines eigenen Balletts, die Tanzpassage am Hof des Emirs vom Ramla. Diese Straffung wirkt sich positiv auf die Inszenierung aus, die insgesamt musikalisch brilliert und von bebender Spielfreude beseelt ist.
Seit der mutigen Inszenierung von Braunfels kolossalem Werk „Der Traum Ein Leben. “ ist es der Oper in Bonn mit „Jerusalem“ – trotzt der eingeschränkten Mittel einer städtischen Bühne unter dem Spardiktat der kommunalen Haushaltssicherung – eine Inszenierung gelungen, die auf dem Niveau der großen Häuser in Berlin, Paris, Mailand und NewYork mehr als nur mithalten kann.
Oper auf Weltniveau. Uneingeschränkt empfohlen.
Oder wie es früher ein Club von Automobilisten nannte:
Nicht nur einen Umweg, sondern eine Reise wert.
LIBRETTO: DEUS LO VULT!
Zur Zeit des Ersten Kreuzzuges will sich der Graf von Toulouse der Gefolgschaft des Vizegrafen Gaston de Béarn versichern, indem er ihm seine Tochter Hélene offziell zur Braut gibt. Er ahnt allerdings weder, dass beide sich inoffiziell bereits lieben, noch dass Roger, sein eigener Bruder seine Nichte Hélene ebenfalls liebt.
Voller Eifersucht verpflichtet er einen Attentäter Gaston zu ermorden. Doch wie so oft in der Oper trifft der gedungene Mörder den Falschen. Der Graf selbst sinkt nieder, der Mörder jedoch beschuldigt Gaston, ihm den Auftrag zum Mord gegeben zu haben. Der junge de Béarn wird verdammt. Hélene bleibt einsam zurück und Roger plagt sein Gewissen, den eigenen Bruder getötet zu haben. Er verläßt Frankreich und wandert als Büßer durch das Heilige Land.
Dorthin hat es auch Gaston verschlagen, der als Gefangener des Emirs von Ramla im Kerker liegt.
Die Kreuzfahrer erreichen einige Zeit später Palästina. Der Graf von Toulouse hat das Attentat überlebt und mit ihm kommen nicht nur die Truppen des Kaisers, sondern auch seine Tochter, immer noch nach Gaston sucht.
"EIN BLUTIGES ENDE WOLLEN WIR DEM HALBMOND BEREITEN."
Showdown: An den Toren von Ramla wird sie verhaftet. Trifft zunächst im Kerker Gaston, kommt in den Harem des Emirs, wird von de Béarn befreit, vom Vater entdeckt, Gaston zum Tod verurteilt, durch Roger aber befreit. Statt durch den Henker will er lieber ehrenvoll in der Schlacht sterben. Doch Gaston eilt den Truppen voran und hießt die Fahne der Kreuzfahrer auf den Mauern der Heiligen Stadt. Nun gesteht Roger seine Untat und tötet sich selbst.
Happy End: Hélene und Gaston sind vereint. Die Christen haben Jerusalem von den Muslimen erobert.
Das Libretto ist kaum mehr als ein trivialer Opernschmonzes, der nur wegen der aktuellen politischen Lage in Nahost auf empfindsame Geister heute etwas „political uncorrect“ wirken mag.
Doch sicher war diese Dimension den Librettisten Alphonse Royer und Gustave Vaëz im Jahr 1843 noch vollkommen unbekannt.
MUSIKALISCH: Bravo! Bravissimo!
Rein musikalisch ist die Bonner Inszenierung atemberaubend schön. Unter der musikalischen Leitung und dem Dirigat Will Humbugs verzaubern das Beethovenorchester Bonn (BOB), der Chor der Oper gemeinsam mit den Solisten die Klangkunst Verdis derart souverän auf die Bühne, wie man sie nur an wenigen Orten anderswo zu hören bekommen kann. Humbug zeigt mit seiner Arbeit an „Jerusalem“, dass er mit Recht den Ruf hat, der Musik zu dienen. Auf die Musik zu hören, auf die Stimmen der Instrumente, des Chores und der Solosängerinnen und Sänger.
Selbst an den Stellen, an denen auf der Partitur sogar der Chor ins Forte gesetzt ist, Bass und Sopran miteinander wetteifern und die Streicher fideln, was die Bögen halten. Selbst dann gelingt es Humbug noch ein kleines, ein winziges Fenster in all der voluminösen Musik zu öffnen, um es auch dem zarten Ton der Oboe möglich zu machen sich wie der Frühlingsgruss eines einzelnen Vogels bis in den obersten Rang hinaufzuschwingen. Im Dirigat der Oper „Jerusalem“ wagt Humbug jetzt einen weiteren, mutigen Schritt. Nach einer grandios gesungenen Partie, läßt er der Stille Raum. Sänger und Orchester schweigen, kein Laut tönt durch das Haus und das stille Weinen Hélenas wird zum brüllenden Orkan, zur dröhnenden Klage gegen das Gericht von Kirche und Staat. Bravo!
Zu den Pfunden, mit denen die kleine Oper am Rhein glänzen kann, gehört neben dem Orchester auf jeden Fall der Opernchor. In der Einstudierung durch Marco Medved gelingt diesem Klangkörper wieder einmal das schier Unmögliche. Mitten in der Bombastik einer Verdi-Oper verlieren sie keine einzelne Stimmen. Die Töne aus jeder der Kehlen des Korpus füllen wie ein vielstimmiger Gesang in den verschiedenen Stimmlagen und -färbungen den Raum, machen aus fünf Dutzend Gesangstimmen die Fünfzigtausend des Heeres der Kreuzfahrer. Ein Haus, das solch einen hervorragenden Chor hat, muss stets Guiseppe Verdi auf dem Spielplan haben. Die vierte Sparte, Wunschobjekt von Bernhard Helmich, Intendant, hätte der Inszenierung nicht geschadet, sondern sie wahrscheinlich einzigartig machen können. Verdi hatte auftragsgemäß zwanzig Minuten Ballettmusik nur für die in Bonn gestrichene Haremsszene komponiert.
SOLOSTIMMEN
Das jugendliche Liebespaar Gaston und Hélene wir von zwei Mitgliedern des Bonner Ensembles verkörpert. Nicht nur gesungen und gespielt. Sébastien Guèze und Anna Princeva sind von der ersten Minute, von der ersten Note an die jungen Liebenden aus Toulouse. Ihre Leidenschaft, ihre Aufopferung, ihr Leiden und ihr Glück beseelen das ganze Theater. Anna Princeva aus St. Petersburg besitzt einen fulminanten Sopran, der es bei aller Eleganz und Präzision jederzeit mit dem ganzen Chor und dem gesamten Orchester aufnehmen kann, ohne je in die Gefahr zu gelangen untergehen zu können. Eine Meisterleistung neben der es andere Sänger als der Franzose Guèze schwer haben würden. Er jedoch kann neben dieser außerordentlichen Stimme auch gesanglich bestehen, während er voller schauspielerischer Spielfreude voller Athletik deutlich macht, dass Oper nun einmal Musiktheater ist. In Bonn spielte zuletzt die Titelrolle in „Hoffmanns Erzählungen“. Anna Princeva, die erst vor acht Jahren debüttierte und zu deren Repertoire bereits heute viele große Frauenrollen von Mozart bis Rossini zählen, erinnert auffallend an die junge Anna Netrebko, die in der Rolle der Donna Anna 2002 an der Salzach ihren internationalen Durchbruch feierte.
Czaba Szegedis facettenreicher Bariton, der in Bonn bereits als Fieramosca in Benvenuto Cellini überzeugen konnten, fügt sich perfekt in das Klangwerk dieser Operninszenierung ein. Hätte ihm die Regie etwas mehr Raum zum Spiel gegeben und nicht an dem statischen Bild eines unbewegten Aristokraten festgehalten. Szegedi, der auch die Partien desFigaro, Papageno und des Don Giovanni singt, hätte sicher dieses etwas mehr laissez – mit einem Vielfachen an faire belohnt.
Dagegen verlangt der Regisseur von Franz Hawlata viel Schauspielerisches, neben seiner höchst anspruchsvollen Basspartie als Roger, dem eifersüchtigen Bruder des Grafen von Toulouse. Doch Hawlata reizt seine Rolle darstellerisch und musikalisch aus. Nicht allein seine fabelhafte Sterbeszene verdiente und erhielt vollkommen zu Recht Szenenapplaus des Publikums.
Neben diesem fantastischen Bass hatte es Priit Volmer als Legat des Papstes von der Partie her deutlich schwerer. Das es ihm gelang auch im Bassbereich einen anderen musikalischen Akzent seine Stimme zu geben ist ebenso bewunderswert, wie seine Interpretation des Adhémar de Monteil, als Personifikation perfider Boshaftigkeit hinter der Kulisse pseudofrommer Devotion.
Brigitte Jung als Vertrautre Hélenes, Christian Georg als Gastons Schildknappe, Christian Specht als Soldat des Emirs, Egbert Herold als Herold bringen schöne stimmliche Akzente in die Bonner Inszenierung. Besonders auffallend waren Christian Georgs wenige Passagen, in den er alleine sang. Giorgos Kanaris in der Rolle des Emirs vom Ramla überzeugte von Anfang bis Ende.
Die Lichtarchitektur aus der Hand von Thomas Roscher ist ebenso präzise wie stilbildend in dem intelligent gestalteten Bühnenraum Paco Azoríns. Domenico Franchi entwarf schlichte, stimmige Kostüme, die bis auf die Rolle des päpstlichen Legaten überzeugen.
Die musikalische Leitung Will Humbugs zeigt wie von zarter Hand gewebt die blütenreiche Seele von Guiseppe Verdis meisterhafter Musik. Von der Bonn/ Regiearbeit Francisco Negrins hätte man nach seiner großartigen Bonner Arbeit an THAÏS und an IDOMENEO in Essen viel mehr inszenatorischen Mut erwartet. Doch vielleicht darf man bei internationalen Koproduktionen darauf nicht hoffen.
Doch um einmal den Kollegen Peter Hagman von der NZZ zu zitieren:
Jubel für alle Beteiligten.
Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden einschließlich einer Pause
Koproduktion mit dem Theater ABAO, Bilbao
Termine
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